Sinta Werner: Splitting the Moment

  • Material: Stahlrohre und Glas

Hörführung

Beschreibung

Zwei quaderförmige Kantenmodelle aus Vierkantstahlrohren sind übereinander gestapelt. Im unteren Quader ist eine transparente cyanfarbene Glasscheibe eingesetzt, im oberen Quader jeweils eine blaue und orangefarbene Glasscheibe. Die rechtwinkligen Schatten des Objekts, welche sich zu einer bestimmten Tageszeit abbilden, sind auf den Boden gesprüht. An bedeckten Tagen erinnert die Installation an ein mathematisches Modell, welches der Veranschaulichung der Parallelperspektive dient. An sonnigen Tagen addieren sich die gesprühten und die echten Schatten und schaffen ein perspektivisches Verwirrspiel . Die cyan, blau und orangefarbenen Lichtspuren am Boden erinnern an das Farbspektrum, welches durch Lichtbrechung bei einem Prisma entsteht. Die Projektion in verschiedene Richtungen durch die Verdoppelung aus Echtzeitschatten und Schatten einer anderen Tageszeit verstärken den Charakter der Aufspaltung. Einmal am Tag überlagern sich reale und dargestellte Schatten und verstärken sich wie bei der Resonanz eines Körpers, dessen Eigenfrequenz durch einen anderen schwingenden Körper erhöht wird. Die elektromagnetische Strahlung, dessen spektrale Zusammensetzung als Farbe wahrgenommen wird, wenn beim Auge ein Sinnesreiz hervorgerufen wird, funktioniert im sichtbaren Bereich vergleichbar wie im akustisch wahrnehmbaren Bereich. Das Glas und die Malerei am Boden sollen die Wahrnehmung des Betrachters schärfen für die wunderbaren Spielarten des Sonnenlichts.

Die Arbeit befindet sich an der Schnittstelle von Skulptur, Malerei und Architektur. Der Architekturbezug kommt zustande durch die verwendeten Materialien Glas und Stahl und die reduzierten konstruktiven Formen. Die vereinfachten Formen lassen es als Modell erscheinen, auch wenn der Maßstab für ein Modell zu groß ist. Es ist möglich in die Skulptur hineinzugehen. Die Stäbe kennzeichnen und verbinden in ähnlicher Weise den Innen- und Außenraum, wie es bei Gebäuden der Fall ist. Die Skulptur definiert den Luftraum durch ein orthogonales Koordinatensystem und macht ihn meßbar. Die Konstruktion erinnert an ein weiteres Messinstrument - die Sonnenuhr. Die Seitenkanten der Quader funktionieren wie Fensterrahmen, die die Sicht auf die Umgebung einfassen. Die farbigen Scheiben sind Filter, welche den Stadtraum einfärben und als gerahmtes Bild erfahrbar machen. Das mediale Sehen durch die Fotografie hatte einen großen Einfluß auf die Gestaltung modernistischer Architektur. Die Gebäude sollten lichtdurchflutet, klar strukturiert, offen, transparent und dabei fotogen sein. Die Skulptur soll wie eine Verkürzung dieser Formel und Ideale wirken und den Blick sensibilisieren auf die Reichweite der Moderne in die Gegenwartsarchitektur, wie sie konkret auf das Werksviertel Einfluß gefunden hat.

Die gemalte und projizierte Abbildung am Boden in Kombination mit dem Gerüst ergeben je nach Tageszeit, Sonnenschein und Blickwinkel immer neue Kompositionen und schaffen somit Dynamik und Vielfalt. Der Betrachter hat einen aktiven Part bei der Gestaltung des Werks. Es entstehen abstrakte Formationen, wie man sie aus dem Konstruktivismus kennt. Die Skulptur ist eine Hommage an Strömungen wie Bauhaus und De Stijl (Mondrian, Van Doesburg), welche die Synthese zwischen Kunst und Leben angestrebt haben. Dies beinhaltete die Verwischung der Grenzen zwischen Kunst, Design und Architektur. Das Modulhafte in diesen Werken suggeriert eine Fortsetzung der Struktur in den unendlichen Raum und verkörpert somit das Prinzip des Universalen. Während Mondrians und Doesburgs Ansatz idealistische Tendenzen hatte im Hinblick auf eine sozialistische und international geprägte kommende Zeit, spiegelt mein Entwurf ein Weltbild und eine Gesellschaft wider, welche unterschiedlichste Auffassungen und Perspektiven nebeneinander existieren lässt.